Projekt: "Wohnen, Lernen, Reisen"

Plattenbauten auf DDR-Ansichtskarten

von Jonathan Horn, Christoph Müller und Laura Weimer

 

Die Postkarte stellte in der DDR ein alltägliches Kommunikationsmedium dar. In einer Zeit, in der telefonische Erreichbarkeit und andere Fernmeldetechniken nicht für alle gleichermaßen zur Verfügung standen, waren sie ein adäquates Mittel, um preisgünstig und unkompliziert Nachrichten zu versenden. Die Bildmotive boten Freund*innen, Familienmitgliedern und Kolleg*innen auch einen visuellen Eindruck des jeweiligen Aufenthaltsortes. Die breite Palette an Abbildungen gab nicht nur populäre Gemälde und Zeichnungen, Urlaubsorte und Landschaften oder Sehenswürdigkeiten wieder, sondern dezidiert ebenfalls alltägliche Bauformen. So wurde auch der Plattenbau zu einem beliebten Ansichtskartenmotiv im sozialistischen Einheitsstaat. 

Diese Bauweise, die sich durch die Verwendung von vorgefertigten Betonmodulen auszeichnet, hatte ab den späten 1950er Jahren aufgrund von staatlichen Großbauprogrammen ihre Blütezeit. Große Wohngebiete im Plattenbaustil prägen bis heute zahlreiche, nicht ausschließlich ostdeutsche Städte. Auch Zweckbauten wie Schulen und Hotels wurden mit den Fertigmodulen errichtet. Das „Plattenbauviertel“ stellte einen alltäglichen Raum in DDR-Städten dar und stand stellvertretend für die angestrebte „sozialistische Umgestaltung“ des Staates. 

Die Darstellung von Hotels, Wohn- und Schulgebäuden auf Postkarten lässt die Verflochtenheit dieses Kommunikationsmediums mit dem Massenbaustil des modularen Betonbaus erkennen. Ein Blick hinter die gewählten Motive gewährt Zugang zu Geschichten aus dem alltäglichen Leben, zur DDR-Baupolitik, Kunst und Architektur in den urbanen Landschaften. Die Postkarte manifestiert sich somit als visuelles Zeitzeugnis. 

Wohnen in der Platte

Abb.1: Postkarte Halle - Neustadt (Saale) 

Prominenteste Vertreter der DDR-Plattenbauweise sind die Wohnbauten. Zahlreich entstanden sie zwischen 1960 und 1989 und gelten bis heute als ein markantes Erbe des sozialistischen Wohnungsbaus. Das eher negative Image, das „der Platte“ nach der Wiedervereinigung lange Zeit anhaftete, ändert sich allmählich. Als Postkartenmotiv hingegen sind sie kaum noch zu finden. Damals wie heute bezog die Platte ihre Popularität aus pragmatischen Eigenschaften: günstige Mieten und gute Anbindung an die städtische Infrastruktur. Die Idee, durch die Errichtung von Typenhäusern in Modulbauweise schnell und günstig Wohnraum zu schaffen, gab es bereits um 1900. In den 1920er Jahren entstanden erstmals ganze Siedlungen aus vorgefertigten Bauelementen. Als prominentes Beispiel kann das Wohnbauprojekt „Neues Frankfurt“ des Architekten Ernst May dienen, das zwischen 1925 und 1930 realisiert wurde (Richter 2006, S.13).

Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Wohnraum überall äußerst knapp; Kriegszerstörung und die Unterbringung von Millionen von Flüchtlingen führten zu einem erheblichen Mangel an Wohnungen. Daher entstanden auf beiden Seiten der Grenze ambitionierte Bauprojekte, um diesen Mangel schnell und kostengünstig zu beheben. Im April 1955 tagte in Ostberlin die erste Baukonferenz der Deutschen Demokratischen Republik: Der Beschluss wurde gefasst, die „Industrialisierung des Bauens“ als zentrale Aufgabe der staatlichen Baupolitik anzuerkennen (Meuser 2022, S. 131).

Die erste Phase des industriellen Wohnungsbaus zeichnete sich durch eine relative Vielfalt von Konstruktionen und Entwicklungen aus. Ab Mitte der 1960er Jahre dominierten dann zunehmend die Module eines ersten Typenbaus, der sogenannten P-Serie, die noch bis zum Jahr 1990 errichtet wurde. Die neuen Wohngebiete umfassten nicht nur Wohngebäude, sondern auch Schulen, Kinderkrippen, Jugendclubs, Geschäfte, Gast- und Kulturhäuser, teilweise in Komplexzentren räumlich konzentriert. Alle Einrichtungen waren fußläufig erreichbar (Saldern 2000, S. 395). Auf diese Weise sollten die Stadtgebiete für alle Altersgruppen und Lebenslagen Infrastruktur und Annehmlichkeiten auf kurzen Wegen bereithalten. Als ein Meilenstein des DDR-Plattenbaus gilt die 1969 entwickelte und 1972 erstmals realisierte Wohnungsbauserie 70, kurz: WBS-70. 

Beim WBS-70 sind drei wesentliche Anforderungen an den Plattenbau miteinander verknüpft. Die Module waren einfach und günstig herzustellen und zu montieren. Die Verkehrsflächen im Gebäude wurden zugunsten größerer Wohnfläche reduziert. Auch dadurch gelang es, mehr Wohnfläche mit weniger Material zu realisieren, denn seit dem Ende der 1960er Jahre kam es durch Engpässe bei den Materialien immer wieder zu Baustopps und Umplanungen (Scheithauer et al. 2018, S.12). Vor allem aber zeichnete sich der WBS-70 durch seine zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten aus. So konnten Wohnungsgrundrisse, Gebäudegröße sowie die Zahl der Stockwerke beinahe beliebig variiert werden. Diese Flexibilität machte die Typen-Serien schon sehr bald zum beliebtesten und weitverbreitetsten Bautyp in der DDR. Von den beinahe anderthalb Millionen errichteten Wohngebäuden in Plattenbauweise gehörte über ein Drittel zur Typen-Serien des WBS-70. Damit machten Wohngebäude insgesamt den Großteil der im Arbeiter- und Bauernstaat errichteten Gebäude aus (Richter 2006, S. 50).

Auch bei den Ansichtskarten im Bestand des Digitalen Bildarchivs des ISGV überwiegen Wohnbauten als Bildmotiv gegenüber den Schul- und Hotelbauten in Plattenbauweise. Ansichtskarten, die explizit Wohngebäude zeigen, sind keine Seltenheit, sondern im Gegenteil durchaus typisch für aus der DDR überlieferte Postkarten. Neben den historischen Sehenswürdigkeiten einer Stadt, einem bis heute weit verbreiteten Sujet, tauchen ab Mitte der 1960er Jahre vermehrt Darstellungen dieser neu errichteten Stadtteile auf. Die Präsentation von Plattenbauvierteln generell und von einzelnen Wohngebäuden im Speziellen zeigt, welche Bedeutung dem industriellen Wohnungsbau in der DDR beigemessen wurde. Plattenbauten sind mitunter Ausdruck einer sozialistischen Fortschrittserzählung. Sie jedoch ausschließlich als Propagandamedium zu lesen, wäre eine verkürzte Deutung. Schließlich identifizierten sich, so zeigen es auch die Postkarten, viele Bewohner*innen mit ihrem Viertel. Ansichtskarten boten eine Möglichkeit, sich das Umfeld visuell anzueignen und zu kommunizieren. 

Abb. 2: Postkarte: Halle (Saale) 

Alle Ansichtskarten verweisen auf konkrete Orte, beispielsweise auf bekannte Plattenbausiedlungen in Magdeburg, Halle-Neustadt oder Jena-Lobeda. Nun wurden explizit die neu errichteten Wohngebäude anstelle von historischen Gebäuden in Szene gesetzt. Oftmals sind auch mehrere Motive, sowohl historische Sehenswürdigkeiten als auch Plattenbauten, auf einer Postkarte kombiniert. Ein besonderes Merkmal bildet die Darstellung von lebendigen Straßenszenen. So sind auf beinahe allen Abbildungen von Wohnblöcken auch Menschen zu sehen, die – wie eine lebendige Staffage – alltäglichen Beschäftigungen nachgehen. Weiterhin finden sich zahlreiche Blumenbeete. Fotografiert wurden die Motive aus der Froschperspektive, sodass die Beete den unteren Bildvordergrund einnehmen, während im mittleren Bereich häufig ein buntes Treiben von Personen und Verkehrsmitteln zu sehen ist und im Hintergrund die Plattenbauten emporstreben. 

Dieses Postkartenmotiv bietet eine Komposition, bei der nicht der Plattenbau allein im Zentrum steht, sondern die Bewohner*innen des Ortes. Der Mensch ist gleichsam das Bindeglied zwischen bunten Blumen und graubraunen Fassaden. Nichts wirkt dabei inszeniert. Allerdings lässt sich bezweifeln, dass die Bilder tatsächlich ungestellte Alltagsszenen zeigen. Der Verlag BILD UND HEIMAT, einer der größten Anbieter von Fotopostkarten in der DDR, gab seinen Fotograf*innen den folgenden Inszenierungshinweis: „Personen beleben in der Regel die Motive und sind erwünscht. Auf eine natürliche Haltung der Personen sowie der Jahreszeit entsprechende Kleidung ist zu achten” (Liepach/Kaden 2019, S. 23).

Neben Personen stellen Kunst am Bau, Skulpturen oder Brunnen beliebte Motive dar, die mit den Wohngebäuden in die Darstellung aufgenommen wurden. Häufig zu sehen sind auch Geschäfte, Schulen, Kulturzentren und Cafés. Diese Einrichtungen verbildlichen den Anspruch der Stadtplaner*innen an die neu gebauten Viertel, infrastrukturell hervorragend ausgebaute Zentren urbanen Seins zu verkörpern. Es sollte deutlich werden: Hier wird nicht bloß geschlafen, hier wird gelebt. 

 

Lernen in der Platte

Abb. 3: Postkarte: Vacha - Geisa (Kr Bad Salzungen)

Zentraler Bestandteil des Lebens in den sozialistischen Städten waren Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen. Schulen stellten vielerorts einen integralen Bestandteil der Großwohnsiedlungen dar. 

„In der Schule verbringen die Kinder und Jugendlichen einen großen Teil ihres Lebens, hier entwickeln sie sich zu allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeiten” (Grundmann 1968, S. 7). So lauten die einführenden Worte einer Informationsschrift über Schulbau in der DDR, die vom Ministerium für Volksbildung herausgegeben wurde. Der Komplex Schule war eines der wichtigen Gebiete, die im Zuge der „antifaschistisch-demokratischen Bildungsreform“ ab 1945 in den Mittelpunkt der staatlichen Auseinandersetzung gerückt wurden. Nicht nur das Unterrichtsmaterial und die Lehrkräfte des NS-Regimes sollten schnellstmöglich ersetzt, sondern zudem Räume geschaffen werden, die dem neuen politischen Kurs entsprachen (Geißler 1995, S. 214). Dabei galt es, die traditionellen Volksschulen zu verändern, die als „Ausdruck der kapitalistischen Bildungspolitik” galten (Grundmann 1968, S. 7; siehe bspw. Schulbau bei Pulsen, Kreis Riesa):

„Das Schulhaus muß der Landschaft angepaßt sein und die spezifischen Gegebenheiten des Ortes berücksichtigen. Darum ist in der Deutschen Demokratischen Republik kein Platz für amerikanische Glaskästen, deren stilloses Äußere schon die antinationale, kosmopolitische Erziehung verkündet.“ (Schauer et al. 1955, S. 6)

Rückblickend stellt sich die Frage, inwieweit es gelang, den DDR-Schulbau an seine Umgebung anzupassen. Der Plattenbau, der besonders in Kleinstädten und Dörfern ab den 1960er Jahren ein Novum darstellte, brach in vielen Fällen mit dem baulichen Bild seiner Umgebung. Unterschiedlichen pädagogischen Ansätzen zum Trotz bestanden weiterhin Ansprüche, wie sie bereits in den 1920er Jahren formuliert wurden: auf Licht, Luft, Sonne, Heizung und Beleuchtung (Jochinke 2001, S. 149). Diese wurden durch Forderungen nach einer demokratischen Einheitsschule ergänzt, welche jedem Kind egalitäre Bildungschancen ermöglichen sollte (Geißler 1995, S. 214). Unter Mitarbeit der Architekten Ulrich Bahnsch, Ludwig Deiters, Wilhelm Schütte und Ernst May veröffentlichte die „Zentrale Schulbaukommission“ im Jahr 1951 entsprechende Richtlinien für Bau und Projektierung. In den Folgejahren wurden mehrere Wettbewerbe durchgeführt, um den optimalen Bautypus zu ermitteln. Der Entwurf von Helmut Trauzettel, der unter anderem in der Bitterfelder Anhaltsiedlung verwirklicht wurde, sah vor, die Bildungsstätten aus Montageelementen zu errichten, die üblicherweise für den Wohnungsbau verwendet wurden. 

Trotz positiver Resonanz nach der Inbetriebnahme der Trauzettel-Schule, dominierte schlussendlich die „Typenserie 66“, welche das Wohnungsbaukombinat Erfurt entworfen hatte. Dieser Gebäudetyp kombinierte die damals neuesten Erkenntnisse von Pädagogik und Bauwesen, um einen möglichst effizienten Lernprozess zu ermöglichen. Schule sollte nicht der individuellen Erziehung der Jugend dienen, sondern wie eine ‚geölte Maschine‘ effizient und wirtschaftlich günstig Lehrstoff vermitteln. Es wurde dabei insbesondere auf Lichteinfall, Blendung, Mobiliar und Raumproportionen geachtet. 

Abb. 4: Postkarte: Strehla, Kr. Riesa

Das Kartenmotiv von Vacha-Geisa im Kreis Bad Salzungen weist eine Besonderheit auf: Unter den Fachwerkbauten und alten Brunnen sticht der Stahlbetonbau der ehemaligen Rudi-Arnstadt-Schule hervor. Die Postkarte bildet pro Ort jeweils zwei Sehenswürdigkeiten ab. Die Karte zeigt dabei drei Ortsansichten in der obersten Reihe in einem kleineren Format, während die beiden unteren Bilder dominant die gesamte Reihe ausfüllen. Zu sehen sind das Fachwerkhaus Widemark in Vacha sowie die Rudi-Arnstadt-Schule (heute: Rhön-Ulstertal-Schule), die sich als Einheitsbau vom Typ „Gera TS 72“ identifizieren lässt und auf den ersten Blick aus dem Bildprogramm herausfällt. Ein möglicher Grund für die prominente Platzierung könnte sein, dass in den 1950er Jahren ein zentraler Schulbau in Geisa angestrebt wurde (Festwoche für eine 50-Jährige, STZ vom 14.09.2018). Die Darstellung von Schulgebäuden auf der Postkarte gibt nicht nur das Versprechen eines zeitgemäßen Bildungsprogramms für Schüler*innen wieder, sondern auch für einen Ort des Zusammentreffens für junge Leute, dem dieselbe Gewichtung zukommt wie den Sehenswürdigkeiten der Stadt. 

Ein weiteres Beispiel für Schulbauten aus den 1960er Jahren bildet die Erich-Weinert-Oberschule in Strehla. Neben einer Ansichtskarte, die den Bau inmitten weiterer Motive aus Strehla zeigt, existiert auch eine Karte, auf der nur die Schule abgebildet ist. Die wie ein typischer Plattenbau wirkende Anlage birgt eine reiche Geschichte: Die Schule wurde als unikaler Bau von Hans-Otto Gebauer entworfen und zwischen 1958 und 1962 von den Architekten Voigt und Keller realisiert. Entgegen der üblichen Praxis, die Gebäude aus Stahlbeton zu errichten, wurde der Komplex in massiver Ziegelbauweise ausgeführt (Denkmaldatenbank des LfD Sachsen, Nr. 09265021). Seinen Erbauern gelang ein erstaunlicher Balanceakt zwischen ländlich anmutender regionaler Architektur, die den „Heimatstil“ aufgreift zum einen, und dem sozialistischen Realismus einer vollindustrialisierten Plattenarchitektur zum anderen. Besonders ist nicht nur der Bau, sondern auch das Mosaik, das seine Fassade ziert. Durch den Aufnahmewinkel der Fotografie fällt das Kunstwerk auf dem linken Gebäudeteil kaum auf. Das Mosaik wurde von Rudolf Sitte (1922–2009) geschaffen, der zwar als Künstler und Bildhauer an verschiedenen Projekten in der DDR beteiligt war, neben den großen Namen der DDR-Bildhauerei, insbesondere seinem Bruder Willi Sitte (1921–2013), aber heute wie damals selten Anerkennung findet.     

 

Urlaub in der Platte

Abb. 5: Bildpostkarte: “Interhotel Gera” 

Herzlichen Dank für die gute Betreuung", schrieb Erich Honecker nach seinem Besuch 1986 in das Gästebuch des „Hotel International“ in Magdeburg. Honecker war regelmäßig zu Gast in diesem Haus, das zur staatlichen „Vereinigung Interhotel“ gehörte. Hierher brachte er auch das Diplomatische Corps anlässlich der Hasenjagd im Magdeburger Umland (40 Jahre Inter-Hotel Magdeburg, taz, 08.11.1993). Interhotels, wie das in Magdeburg, wurden aber nicht nur von der Regime-Elite frequentiert, sondern waren insbesondere als Urlaubsorte für westliche Touristen konzipiert worden (Ulrich 2020, S. 254). Das Ziel war, vor allem Gäste aus nicht-sozialistischen Wirtschaftsgebieten anzuziehen. Das Ministerium für Handel und Versorgung sah in den westlichen Tourist*innen Devisenbringer, die starke Währungen in das Land bringen sollten (Wolte 2009 S. 280). Zu diesem Zweck wurde ein luxuriöses Gastgewerbe betrieben: Interhotels boten neben mehreren Restaurants, die mitunter nur die Zahlung mit Westgeld akzeptierten, auch Wellnessangebote und andere Annehmlichkeiten. Über die Bedeutung des Devisenerwerbs gibt auch der Interhotel-Katalog Auskunft. Das Vorwort war in vier Sprachen verfasst und sollte einen Überblick über alle Interhotels der Republik vermitteln. In Bezug auf die Zimmerpreise eines jeden Hotels heißt es hier:


„Die Begleichung und Verrechnung kann in jeder anderen konvertierbaren Währung zu den jeweils gültigen Devisenumrechnungssätzen der Staatsbank der DDR erfolgen” (Autorenkollektiv, Interhotel-Katalog, S. 93).


Vor dem Hintergrund des staatlichen Plattenbau-Booms ab den 1960er Jahren wurde diese Bauform auch für einen Großteil der Interhotels gewählt. Das „Hotel Stadt Halle“ konnte im Jahr 1966 nach nur 17 Monaten Bauzeit eröffnet werden (Geschichte des Hotels Maritim in Halle, MZ vom 17.08.2017). Für das Interhotel in Gera ist eine Bauzeit von maximal 24 Monaten belegt (Löwe 2019, S. 380). Derart schnelle Baufortschritte waren durch die modulare Betonbauweise realisierbar und ermöglichten es dem Staat, auch Prestigeobjekte sprichwörtlich aus dem Boden zu stampfen. 

Weiterhin bot die Arbeit mit Betonmodulen Planungsflexibilität. Das Interhotel in Karl-Marx-Stadt war 1960 noch als siebenstöckiges Appartementgebäude konzipiert, wurde jedoch als Hotelbau neu profiliert und 1962 als „Hotel Stadt Moskau“ eröffnet (Neubert 1964, S. 76). Als Prestigeobjekte mit internationaler Außenwirkung zeigten sich diese neu gebauten Interhotels besonders prägnant im Stadtbild und eigneten sich daher hervorragend als Motive. Bei der Abbildungspraxis gab es verschiedene Ansätze: Zum Teil standen die Hotels allein im Mittelpunkt der Postkarten, zum Teil waren sie eingebettet in ein urbanes Gesamtbild mit anderen Wahrzeichen der Stadt.

Abb. 6: Postkarte: Magdeburg, Interhotel "International"
 

Besonders interessant ist eine Postkarte, die das Interhotel Magdeburg zeigt. Dieses Motiv wählte ein Urlauberpaar, um Grüße und Informationen über den Urlaubsaufenthalt zu übermitteln. Mit blauer Tinte ist die Information „Gegenüber (auf dem Hinterhof) wohnen wir” auf der Vorderseite der Karte verzeichnet; ein Pfeil und ein aufgemaltes Kreuz markieren ein Zimmerfenster. Deutlich wird hier – anders als bei zahlreichen weiteren Postkarten – eine direkte Bezugnahme auf das Motiv durch die Schreibenden. Versandt wurde die Karte an eine Adresse in einem kleinen Ort in der sächsischen Schweiz, was die Vermutung zulässt, dass es sich bei dem Urlaubspaar um Bürger der Deutschen Demokratischen Republik gehandelt hat. Im Postkartentext ist von einem „Kurzurlaub“ die Rede. Auf welche Weise dieser Aufenthalt in einem Luxushotel der Interhotel-Gruppe zustande kam, lässt sich nicht rekonstruieren. Es zeigt jedoch, dass es auch DDR-Bürger*innen möglich war, dort zu übernachten. Üblicher war wohl jedoch der Aufenthalt von ausländischen Gästen. So heißt es im Tourist-Stadtführer Magdeburg von 1977: 
In Höhe des Hauptbahnhofes erhebt sich das 1963 eröffnete Interhotel “International”. In sieben komfortablen Zimmeretagen verfügt es über 625 Betten. Auf das Erd- bzw. Kellergeschoss verteilen sich das ‘Restaurant Moskwa’, das ‘Café Wien’, die Bierstuben ‘Pilsner Quelle’ und die 'Juanita-Bar'. Neben dem von vielen Ausländern besuchten Hotel befinden sich attraktive Geschäfte“ (Autorenkollektiv, Tourist-Stadtführer Magdeburg, 1977).

Durch ihren Luxus und den zur Schau getragenen Überfluss der Interhotels entwickelten sie sich innerhalb der DDR-Gesellschaft zu Orten, die eine Lücke zwischen den Idealen des sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates und dem wirtschaftlichen Zwang, ausländische Tourist*innen aus dem Ausland zwecks Devisengewinnung zu beherbergen, klaffen ließ. In Teilen der Bevölkerung, die zu diesen exklusiven Einrichtungen entweder mangels Devisen keinen Zugang hatten oder sich die hohen Preise nicht leisten konnten, riefen sie Ablehnung und Protest hervor (Ulrich 2020, S. 249). Neben den Luxushotels wurden auch die weitaus einfacheren, aber preiswerten FDGB-Heime im Plattenbaustil errichtet. Über die Platzvergabe in diesen Domizilen entschieden die „Ferienkommissionen“ der Volkseigenen Betriebe für ihre Angestellten (vgl. Friedreich, ISGV-Projekt “Urlaub in der DDR”).

 

Fazit:
 

Das Massenmedium Postkarte führt anschaulich durch die Geschichte des Sehens und Zeigens von Modulbauten in der DDR und kann beispielhaft die Signifikanz der Bauform „Platte“ für bestimmte Zwecke verdeutlichen. Dieses Potenzial haben auch andere Quellen, wie beispielsweise Bauakten oder Fotobücher. Die Besonderheit von Postkarten ist ihre Funktion als zu beschriftende Objekte. Dies macht Postkarten zu Medien der alltäglichen Kommunikation: Hiermit ist nicht nur eine Bildpraxis des Zeigens verbunden, die Rückseite der Karte fordert zu einer individuellen Aneignung von Orten durch die Beschriftung auf. 
In Bezug auf den Wohnungsbau ermöglichen die abgebildeten Motive, in die visuelle Relation von Mensch und Gebäude einzutauchen. Im Kontext der Schulbauten verbildlichen sie pädagogische Leitlinien und deren bauliche Auswirkungen sowie ebenso die Implementierung von staatlich beauftragter Kunst. Im Zusammenhang mit dem Hotelbau bilden sie eine Parallelwelt ab: zwischen Luxus und staatlich verordneter Sparsamkeit und Effizienz.

Postkartenbestände aus der DDR bergen das Potenzial, von den Lebenswelten der Bürger*innen des Arbeiter- und Bauernstaates zu erzählen. Die breiten Motivpaletten und Kartentexte könnten dabei Grundlage für weitere Forschungen sein.

 

Diese Projekt wurde im Rahmen des Seminars “BilderWelten. Von der Illustration zur Methode” an der Friedrich-Schiller-Universität Jena durch die Studierenden erarbeitet. 

 

Literatur- und Quellenverzeichnis:

[Autorenkollektiv]: Interhotel-Katalog, Berlin 1977.
(http://www.ddr.center/katalogseite/interhotelsseite_1.html, letzter Zugriff vom 01.09.2022)

[Autorenkollektiv]: Tourist-Stadtführer Magdeburg, Berlin 1977.

“Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule“. Vorschlag der Beratung in Halle vom 9. bis 10. Januar 1946, in: Geißler, Gert/ Wiegmann, Ulrich: Schule und Erziehung in der DDR. Studien und Dokumente, Neuwied 1995, S. 213 - 219.

Denkmaldatenbank des Landesamtes für Denkmalpflege Sachsen, Denkmaldokument, Obj.-Dok. Nr: 09265021, “Erich-Weinert-Oberschule (ehem.)”.
(https://denkmalliste.denkmalpflege.sachsen.de/CardoMap/Denkmalliste_Report.aspx?HIDA_Nr=09265021,download/letzter Zugriff vom 02.09.2022)

Friedreich, Sönke: Projekt. "Urlaub in der DDR". Bilder zwischen staatlichem Blick und Freizeitfotografie. (https://bild.isgv.de/projekte/5, letzter Zugriff vom 30.11.2022)

Grundmann, Jürgen: Schulbau in der DDR, Berlin 1968.

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Hütter, Andreas: VOM MOSKAU ZUM HOTEL AN DER OPER. Online-Publikation 2020. (https://chemnitz-gestern-heute.de/vom-moskau-zum-hotel-an-der-oper/, letzter Zugriff vom 08.09.2022)

Jochinke, Ute: Zum Verhältnis von Architektur und Pädagogik im DDR-Schulbau der 50er Jahre, in:

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Kaden, Ben: Rudolf Sitte, Strehla, eine Ansichtskarte.
(https://retraceblog.wordpress.com/2018/07/15/rudolf-sitte-strehla-eine-ansichtskarte/, letzter Zugriff vom 14.09.2022)

Kahl, Alice: Erlebnis Plattenbau. Eine Langzeitstudie, Opladen 2003.

Liepach, Christoph/ Kaden, Ben: Gera ostmodern. Leipzig: sphere publishers 2020.

Löwe, Steffen: Chronik von Gera. Lexikon zur Stadtgeschichte, Arnstadt: Kirchschlager 2019.

Mau, Steffen: Lütten Klein. Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft, Berlin: Bundeszentrale für politische Bildung 2019.

Meuser, Philipp: Vier Generationen des industriellen Wohnungsbaus, in: ders. (Hrsg.): Vom seriellen Plattenbau zur komplexen Großsiedlung. Industrieller Wohnungsbau in der DDR 1953 –1990, Berlin 2022.

Neubert, Horst: Hotel ‘Stadt Moskau' Karl-Marx-Stadt, in: Deutsche Bauakademie zu Berlin et al. (Hrsg.) Deutsche Architektur, Nr. 13, 1964.

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Richter, Peter: Der Plattenbau als Krisengebiet. Die architektonische und politische Transformation industriell errichteter Wohngebäude aus der DDR am Beispiel der Stadt Leinefelde, Diss. Univ. Hamburg 2006.

Sachs, Stefan: Festwoche für eine 50-Jährige, in: Freies Wort / STZ vom 14.09.2018
(https://www.regelschule-geisa.de/presse/index.html Download/ letzter Zugriff vom 30.11.2022)

Saldern, Adelheid von: Die Platte, in: Sabrow, Martin (Hrsg.), Erinnerungsorte der DDR, München:
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Scheithauer, Simon/ Escherich, Mark/ Nehring, Jens Christoph [ua.]: Utopie und Realität. Planungen zur sozialistischen Umgestaltung der Thüringer Städte Weimar, Erfurt, Suhl und Oberhof(=Forschungen zum baukulturellen Erbe der DDR, Bd. 6), Weimar 2018.

Schultz, Alexander: Geschichte des Hotel Maritim in Halle. Heringssalat mit Brot für 2,85 Mark, in: Mitteldeutsche Zeitung vom 17.08.2017. 
(https://www.mz.de/lokal/halle-saale/geschichte-des-hotelmaritim-in-halle-heringssalat-mit-brot-fur-2-85-mark-1346202, letzter Zugriff vom 30.11.2022)

Ulrich, Silvia: Interhotels der DDR: Einrichtung zwischen historischer Wahrheit und Dichtung. Ein Forschungsbericht, in: Cecilia Novero (Hrsg.), Imperfect Recall: Re-collecting the GDR, Dunedin
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Vermerk. Betr.: Rücksprache (des Vorstandes der Gewerkschaft Lehrer und Erzieher) mit Herrn Wandel (10.08.1945), in: Geißler, Gert/ Wiegmann, Ulrich: Schule und Erziehung in der DDR. Studien und Dokumente, Neuwied 1995.

Wolter, Heike: "Ich harre aus im Land und geh, ihm fremd". Die Geschichte des Tourismus in der DDR (= Beiträge zur historischen Verkehrsforschung, Bd. 10), Frankfurt/ New York 2009.