Projekt: "Dresdner Kinokultur vor und nach 1918"

Zur Kulturgeschichte des frühen Kinos in der Kinometropole Dresden

von Wolfgang Flügel

 

Die Dresdner Kinogeschichte reicht zurück bis in die Anfangszeit des Kinematographen. Ende 1895 hatten zunächst Max und Emil Skladanowsky in Berlin und nur wenig später die Gebrüder Lumiére in Paris die ersten Filmvorführungen vor einem zahlenden Publikum veranstaltet. Schon im Folgejahr hielt das Kino in der sächsischen Residenz Einzug: Auf dem bekanntesten Volksfest Dresdens, der Vogelwiese, begannen Wanderkinos zu gastieren. 

Solche Jahrmarktskinos waren charakteristisch für die frühe Kinokultur. Sie entstanden, als Schaubudenbesitzer auf der ständigen Suche nach neuen Attraktionen anfingen, ihre Sensationstheater umzurüsten. Die äußere Gestalt dieser beweglichen Kinos korrespondierte mit der Sensation des neuen Mediums. Viele Betreiber hatten sogar bewegliche Dampfmaschinen – Locomobile – angeschafft, womit sie elektrischen Strom erzeugten, der nicht nur zur Filmprojektion, sondern auch zur Beleuchtung der buntbemalten Prunkfassaden der mobilen Kinopaläste diente. Die Vorführungen dauerten höchstens 25 Minuten und bestanden aus 15 bis 20 Kurzfilmen, zumeist Humoresken und Tagesereignissen, die in Endlosschleifen bis zum Erreichen der Verschleißgrenze gezeigt wurden. Dies und der nur geringe Personalbedarf machten das Wanderkinogeschäft äußerst profitabel. 

Mit dem Varietétheater hat eine weitere großstädtische Kulturinstitution zur Popularisierung des Films beigetragen, wenngleich in geringerem Maße als der Wanderkinematograph: Zeitungsinserate vom Oktober 1903 zeigen, dass in Varietés wie dem Victoria-Salon oder dem abgebildeten Central-Theater [Abb.1: 139009] „Lebende Photographien“ als Schlussnummer des aktuellen Programms zur Vorführung kamen. Zudem begannen schließlich Anbieter wie der Ingenieur August Kade oder der Deutsche Flottenverein, in unregelmäßigen Abständen Säle für Filmvorführungen zu mieten. Dieses Angebot stieß, aufgrund der langen Wartezeit zwischen dem nur einmal jährlich stattfindenden Volksfest, auf großen Beifall. Unbeschadet dessen blieb die Vogelwiese mit ihren Wanderkinos die jährliche Kinohauptsaison. 

Abb. 1: Außenansicht des Central-Theaters in der Waisenhausstraße 6

An dieser Situation änderte sich bis 1905 nichts. Doch 1906 kam es zu einem überraschenden Wandel, als in vielen Großstädten ein Kinogründungsboom einsetzte, der in Dresden kaum abflachend bis 1911 anhielt: insgesamt 75 Kinos wurden in diesen sechs Jahren gegründet, allein 15 davon im Jahr 1906. 

In den folgenden zwei Jahrzehnten öffneten in der Elbestadt jährlich etwa vier neue Lichtspielhäuser ihre Pforten. Auch wenn deren Betriebszeit oft nur bei wenigen Wochen lag hatte das Jahrmarktkino gegen diese Konkurrenz schon bald keine Chance mehr. Mit der Dresdner Vogelwiese 1910 endete in der Elbmetropole die Ära des Wanderkinematographen. In kleineren Städten erfreute er sich noch weiterhin großer Beliebtheit, der Glanz der mobilen Kinopaläste aus der Jahrhundertwende konnte jedoch nicht mehr erreicht werden. Dieser Gründungsboom wurde zum einen dadurch begünstigt, dass bis 1905 jenes reichhaltige Filmangebot entstand, das für die ortsfesten Kinos mit ihren häufigen Programmwechseln unabdingbar ist. Zum anderen war die erforderliche Kinotechnik erschwinglich geworden. 

Innerhalb kürzester Zeit breitete sich das Kino ausgehend von der inneren Altstadt über das gesamte Dresdner Stadtgebiet aus und entwickelte dabei eine so große Formenvielfalt, dass eine allgemeingültige Typisierung nicht sinnvoll möglich ist. Immerhin lassen sich hinsichtlich der baulichen Erscheinung grob vereinfacht drei Idealtypen benennen, die bis in die 1930er Jahre hinein nebeneinander existierten.

Abb. 2: Eingangsbereich des Dedrophon-Theaters mit Belegschaft

Zum ersten gehörten die Kinematographen, die innerhalb kürzester Zeit in leerstehenden und deshalb leicht anzumietenden Ladenlokalen oder ähnlichen Räumlichkeiten eingerichtet wurden. Deshalb hat sich für diesen Kinotyp seit 1912 der Begriff Ladenkino eingebürgert. Bis in die 1920er Jahre hinein entstanden in Dresden rund 40 solcher Kinos, zu denen auch das hier abgebildete Dedrophon [Abb. 2] zählte. Ihre Ausstattung beschränkte sich oft auf das allernötigste: Werbetafeln sowie bunte Lampen zierten die Fassaden und weil die oftmals mit Kalklicht betriebenen Projektoren lichtschwach waren, wurden die Fenster einfach zugeklebt. Als Sitzmöbel diente manchmal ausrangiertes Kirchengestühl. Den vorgeschriebenen Sicherheitsbestimmungen folgte man bestenfalls nur soweit, als dass die Projektoren aufgrund der leichten Entflammbarkeit der Filme in abgeschlossenen, feuerfesten Vorführkabinen oder -räumen untergebracht wurden. 

Insbesondere bei der Ausnutzung auch ungünstigster Grundrisse war der Findigkeit der Kinounternehmer keine Grenze gesetzt: So gab es z.B. Kinos mit zwei Zuschauerräumen, die rechtwinklig zueinander angelegt waren. In beiden wurde dasselbe Programm gezeigt, indem das von einem Projektor erzeugte Bild durch die erste Leinwand fiel und mittels eines schräg gestellten Spiegels auf eine zweite ölgetränkte Leinwand reflektiert wurde. Dieses Verfahren wurde in Berlin unter der Bezeichnung „Winkel- oder Hakenkino“ patentiert.

Neben dem Ladenkino verortet die Forschung das sogenannte Saalkino, wobei die Anzahl der Sitzplätze als ein in der Literatur oft gebrauchtes Differenzkriterium nicht plausibel erscheint. Vielmehr besteht das entscheidende Charakteristikum der Lichtspielsäle darin, dass sie Ball- oder Konzertsäle sowie aufgegebene Kaufhäuser und Markthallen und damit Räumlichkeiten nutzen, die für größere Menschenansammlungen konzipiert waren, und dort einiges an Luxus und technischen Neuerungen aufboten. Ein frühes Beispiel für ein solches Saalkino ist das Tonbild-Theater Olympia am Altmarkt. Es wurde 1909 dergestalt in ein ehemaliges Kaufhaus integriert, dass die Galerien, die im zweiten Stockwerk den zum Zuschauersaal umgewidmeten ehemaligen Hauptverkaufsraum umliefen, gleich einem Theaterrang weiteren Zuschauern Platz boten.

Mit dem Rückgriff auf das Theater zeichnet sich bereits eine Entwicklung ab, die zum dritten Idealtyp, den eigenständigen Kinoneubauten führt. Dresden erhielt schon frühzeitig, noch vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, gleich zwei dieser neuen Kinos. Ihre Architekten meisterten die gestellte Herausforderung, repräsentative, den Ansprüchen des Massenpublikums genügende Säle in hochverdichteten Stadträumen zu platzieren, auf unterschiedliche Weise. Zum einen errichtete Martin Pietzsch das 1911 eröffnete Union-Theater (U.T.) [Abb. 4] als Neubau in einem Hinterhof, wobei eine Passage die Verbindung zur Eingangshalle herstellte, die sich ihrerseits in einem Gebäude an der Straßenfront befand. Zum anderen erbaute Adam Gutjahr im Folgejahr das Rodera [Abb. 3], indem er den Zuschauersaal mit großen Eingriffen in die Innenarchitektur bestehender Wohn- und Geschäftshäuser – heute würde man sagen: durch Entkernung – integrierte. Damit gehören beide zu einem Untertyp der eigenständigen Kinoneubauten, die man auch als integriertes Kino bezeichnen kann.

Abb. 3: Ansicht der Rodera Kammer-Lichtspiele, Wilsdruffer Straße 29

Der bald nach der Eröffnung dieser Lichtspielhäuser ausbrechende Erste Weltkrieg markierte übrigens für das Kino als Phänomen der Massenkultur keinen gravierenden Einschnitt. Nach den ersten Kriegswochen hatte sich das Dresdner Kulturleben unter den veränderten Bedingungen rasch wieder normalisiert. Insbesondere das urbane Kino verwies auf eine blühende Vergnügungskultur, die eine willkommene Ablenkung bot. Zudem entdeckte man im Deutschen Reich die Propagandakraft der Filme, die so zum Objekt staatlicher Kontrolle und Förderung wurden. Anfang des Jahres 1917 wurde auf Veranlassung der Obersten Heeresleitung das Bild- und Filmamt (Bufa) mit dem Ziel gegründet, die Verwendung von Filmmaterial mit militärischen Inhalten zu koordinieren. Im Dezember 1917 folgte schließlich unter Beteiligung der Reichsregierung die Gründung der Universum-Film AG (Ufa) mit dem Auftrag, Spiel- und Dokumentarfilme sowie Wochenschauen zu produzieren. Damit war ein Kinokonzern entstanden, dessen Filme in den folgenden Jahren die Kinosäle füllten.

Mit der Ära der professionalisierten Produktion von Großfilmen begann auch in Deutschland ein Prozess, der in den 1920er Jahren zur Errichtung zahlreicher weiterer Kinopaläste führte – in Dresden auch unter Rückgriff auf die in U.T. und Rodera vorgeprägten Lösungen. Hinzu kamen Saalanbauten an bestehende Gebäudekomplexe, etwa beim Faun-Palast. Doch während in Berlin 1913 mit dem Cines am Nollendorfplatz der erste freistehende Kinoneubau in Deutschland entstand, fand dieser zweite Untertyp des eigenständigen Kinos, das  freistehende Kino, erst 1926 mit der Schauburg Eingang nach Dresden. Verantwortlich für diese Verspätung war jedoch nicht die mangelnde Phantasie der in der Elbestadt tätigen Architekten, sondern schlicht die lokale Bebauungssituation.

Die skizzierte Ausprägung von Laden-, Saal- und eigenständigen Kinos dokumentiert eine formale Diversität, die mit der kulturellen Entwicklung korrespondiert. Erstens belegt der Umstand, dass zwischen 1906 und den späten 1920er Jahren in Dresden um die 30 Ballsäle zu Kinos umgewandelt wurden, eine Verschiebung innerhalb der Freizeitkultur. Zweitens transportiert die Innenarchitektur von Lichtspielhäusern wie dem U.T. eine symbolische Aussage. Indem schon vor dem Ersten Weltkrieg klassische, bislang dem Theater vorbehaltene Gestaltungselemente wie Ränge, Logen, ansteigende Sitzreihen und ausgefeilte Beleuchtungsanlagen übernommen wurden, demonstrierten die Kinos ihren Anspruch auf kulturelle Ebenbürtigkeit. Dies wurde unterstrichen, als sich ab 1913 beginnend mit dem Streifen „Der Student von Prag“ der abendfüllende Spielfilm gegenüber dem Nummernprogramm durchsetzt. Im Zusammenhang damit entstanden die ersten Kinostars wie Henny Porten und Asta Nielsen. 

Abb. 4: Blick in den großen Saal der Union Theater Lichtspiele

Beides, der Siegeszug des Langfilmes und die Erfindung der Stars, führte schließlich dazu, dass große, illustrierte Filmplakate eine zentrale Rolle in der Außenwerbung der Kinos spielten. Demensprechend erhielten Lichtspielhäuser wie die Schauburg effektvolle, fensterlose Fassaden, die viel Platz für diese neuen Werbeplakate ließen. Hier zeigt sich eine Modernität, die noch einmal überboten werden sollte durch die Lichtreklame der Kinopaläste, die nach der Aufhebung der behördlichen Einschränkungen des Stromverbrauchs ab 1924 als Höhepunkt der städtischen Beleuchtung mit elektrischem Licht galten und damit zum Symbol für urbanen Fortschritt schlechthin wurden. Mit diesen Palästen hat sich der Film in die Innenstädte und damit auch in das Bewusstsein seines Publikums hineingebaut – das Kino war endgültig das Leitmedium einer modernen urbanen Populärkultur geworden.

Nachdem im Jahr 1930 die Zahl der Dresdner Lichtspieltheater auf 41 angestiegen war, vollzogen sich tiefe Einschnitte in dieser reichen Kinokultur. Die nationalsozialistischen Machthaber unterwarfen ab 1934 die gesamte deutsche Film- und Kinoindustrie der staatlichen Kontrolle. Damit einher gingen Enteignungen und Verfolgung jüdischer Besitzer, Angestellter und Zuschauer. Die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 zerstörte rund die Hälfte der immerhin noch 36 Kinos, die zu diesem Zeitpunkt der Elbestadt existierten. Die restlichen wurden in den darauffolgenden Jahren enteignet und verstaatlicht, wobei die Gründung der DDR 1949 eine grundlegende Zäsur nach sich zog.

Um dem Mangel an Kinoplätzen zu begegnen, wurden Ersatzspielstellen etwa in Schulen eingerichtet. Zudem sollten einige der teilzerstörten Kinos in der Dresdner Innenstadt, etwa das U.T. oder das Ufa am Postplatz wiederaufgebaut werden. Leider wurde dieses Projekt ebenso aufgegeben wie die Perspektivplanung von 1962, die den Neubau von 9 Filmtheatern für Dresden vorsah.

Erst 1972 erhielt die Stadt im Rahmen des Aufbaus der Prager Straße das Rundkino. Im Rahmen einer Wettbewerbsausschreibung entstanden, weist es als bewussten Kontrast zu den kubischen Wohn- und Geschäftshäusern eine geschwungene Gestalt auf. Konstruktion, Gestaltung und Ausstattung waren wegweisend. Es besaß 1200 Plätze und war der erste (ostdeutsche) Kinoneubau mit zwei Sälen. Das Rundkino besaß die in der DDR größte Leinwand in einem umbauten Zuschauerraum und verfügte über herausragende optische und akustische Bedingungen. 

Foto von Einstiges Konzert- und Ballhaus Stadt Bremen und Kino/ Probebühne Astoria
Abb. 5: Einstiges Konzert- und Ballhaus Stadt Bremen und Kino/ Probebühne Astoria an der Leipziger Straße 58

Nach der Wende mussten schließlich viele der bestehenden Kinos wie der Faunpalast, Olympia oder die Rädelsburglichtspiele schließen – zum Teil aus wirtschaftlichen Gründen, zum Teil, weil ihre Bausubstanz nach 40 Jahren sozialistischer Wirtschaft das Schicksal vieler Altbauten teilte und starke ruinöse Züge aufwies. Stattdessen etablierten sich die aus den USA über England nach Deutschland gekommenen Multiplexkinos mit ihren vielen Kinosälen. Genannt seien hier Ufa, UCI oder Cinemaxx. Dass sich in Dresden neben mehreren Multiplexen noch kleinere Kinostandorte halten können, zeigt die Kinofreudigkeit der Dresdner Bevölkerung.

Am Dresdner Beispiel wurde die Geschichte des Kinos als Leitmedium einer modernen Populärkultur, die sich in den Großstädten wie Dresden um 1900 herausgebildet hat, im Rahmen des vom Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst geförderten Forschungsverbunds „1918 – Chiffre für Umbruch und Aufbruch“ durch das am ISGV angesiedelte Projekt „1918 als Achsenjahr der Massenkultur. Kino, Filmindustrie und Filmkunstdiskurse“ untersucht (Laufzeit 2018–2020). Weiterführende Informationen zu den in diesem Text genannten Kinos sowie zur Dresdner Kinogeschichte zwischen 1895 und 1949 sind auf der Website https://kino.isgv.de zu finden. Dort erhalten Sie auch Zugang zu einem Sammelband, der die Tagung „Urbane Kinokultur. Das Lichtspieltheater in der Großstadt 1895–1949“ dokumentiert, die das ISGV in Kooperation mit den Technischen Sammlungen Dresden im November 2019 veranstaltet hat.

 

 

Literaturverzeichnis

 

  • Baacke, Rolf-Peter: Lichtspielhausarchitektur in Deutschland. Von der Schaubude bis zum Kinopalast, Berlin 1982.
  • Fiedler, Heinz: Vom Kintopp zum modernen Lichtspielhaus, in: Stadtmuseum Dresden (Hg.): Dresdner Geschichtsbuch, Band 1, Dresden 1995, S. 151-169.
  • Garncarz, Joseph: Über die Entstehung der Kinos in Deutschland 1896 –1914, in: KINtop. Jahrbuch zur Erforschung des frühen Films 11(2002), S. 144-158.
  • Maase, Kaspar: Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur 1850–1970 (Europäische Geschichte), Frankfurt am Main 32001.
  • Müller, Corinna: Frühe deutsche Kinomatographie. Formale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen, 1907–1912, Stuttgart 1994.
  • Zeh,  Carola: Lichtspieltheater in Sachsen. Entwicklung, Dokumentation und Bestandsanalyse (Ex Architectura. Schriften zu Architektur, Städtebau und Baugeschichte 2), Hamburg 2007.